HARTMUT STECHOW, ARCHITEKT - KULTURKOPF AM 04.12.10
Barock und Bockwurst
In Disneyland sind bis heute Bärte nicht erlaubt. Jedenfalls beim Personal. Sonst schätzt dieses Modell einer künstlichen Stadt - sicher nicht ganz zufällig wie das barocke urbane Ideal um ein höfisches Zentralgebäude arrangiert - das Ornament, den Schmuck durchaus. Hartmut Stechow ist vernarrt in Geheimnisse. Auch in einem angenehm ältlichen Besprechungsraum mit Weserblick, in dem wir uns treffen, hängt das verblasste Bild eines Schlösschens an der Wand. Frankreich wohl, wahrscheinlich Loiretal. Der Architekt hat es dort nicht selbst aufgehängt. Wie der Paternoster, der im Treppenhaus an den Stufen vorüber gleitet, stammt das Bild aus einer anderen Zeit. In der das Gebäude noch kein Architekturbüro und keinen Motorradausstatter beherbergte, sondern ausschließlich dem Weinhandel vorbehalten war.
"Ich liebe Geheimnisse", sagt Stechow, "wenn wir keine mehr hätten, wüssten wir nicht, was wir noch fragen sollten." Andere fragen - und auch uns selbst. Das nennt man wohl Neugier. Dann bemüht der 1945 geborene Gebäudedenker das Bild der ägyptischen Pyramiden, die zugleich Zweckbauten und zwecklos gewesen seien. Und mindestens in diesem Sinne rätselhaft. Das haben sie mit Disneyland gemein. Auch wenn hier die repräsentativen Funktionen andere sind als beim vermeintlichen Pharaonengrab. Sicher könnte man mit Hartmut Stechow prima einen Abend mit Wein und der Frage verbringen, was wohl Siegfried Kracauer, der Theoretiker des Verhältnisses von Ornament und Masse im frühen 20. Jahrhundert, über Disneyland geschrieben hätte. Stechow wirkt wie einer, der gar nicht anders kann als sehr viel darüber nachzudenken, was er tut (und was er nicht tut); ohne dabei grüblerisch rüberzukommen. Und dm Geheimniskrämer Stechow würde vermutlich auch etwas dazu einfallen, was sein Beruf mit den beiden Silben zu tun hat, aus denen sein Vorname zusammen gesetzt ist.
Es gab eine Zeit, da wollte Hartmut Stechow Physik studieren, Astrophysik. Doch dafür war er mit Mitte Zwanzig schon reichlich alt. Es habe Leute gegeben, erzählt er, die meinten, wenn er fertig wäre, hätte er keine Chance auf einen Posten in einem Aufsichtsrat oder einem ähnlichen Gremium. Was aber auch nicht der aller erste Antrieb gewesen sein dürfte. Nach der Schule lernte Stechow den Beruf des technischen Zeichners, arbeitete bei im Bereich Bauingenieurwesen und Maschinenbau. "Die Autobahnbrücke, die die A1 über die Weser führt, die habe ich gezeichnet", sagt er. Er würde jene Freiheiten, die Libeskind, Hadid oder Koolhas haben, kaum ablehnen. Trotzdem scheint Stechows Blick fast mehr noch dem kaum Sichtbaren zu gelten als dem Spektakulären. "Die eigentliche Architektur ist nach wie vor die Alltagsarchitektur, die nicht-auffällige Architektur", meinte er einmal beim Klub Analog, "Also Wohnungen und Gewerbebauten. Das ist vielleicht auch der lukrativste Markt." Aber auch der Bereich, der den Fachleuten am wenigsten als Herausforderung und den Laien wenig spektakulär vorkommt.
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Schulgebäude und Sporthallen, Würstchenbuden, Wohnhäuser und kleine innenstädtische Marktareale finden sich in seinem Portfolio. Über den gering budgetierten Neubau einer Sportanlage für den VfB Komet in Obervieland schrieb er "Ziel dieses Konzeptes ist es, den Stadtteilbewohnern neben den sportlichen Angeboten auch einen öffentlichen Anlaufpunkt zu geben: Der Sportverein als Höhe- und Mittelpunkt des Wohnquartiers." Und auch wenn er über einen Schulbau in Ottersberg spricht, geht es in erster Linie nicht um das ingenieurmäßig Machbare. Es gäbe einen Grund, warum Schulen, die früher Kasernen geähnelt hatten, irgendwann begannen, wie Bürohäuser auszusehen. Ein Gebäude fragt auch immer: Wo will eine Gesellschaft hin? Welches Bild macht sie sich von sich selbst? Auch darum arbeitet er mit seinen Studenten am liebsten praktisch. "Beim Lehren bleibt man sehr jung, weil man immer herausgefordert wird, sich stetig mit neuen Aspekten der Architektur auseinander zu setzen."
Jemand, ein möglicher Auftraggeber, habe ihn einmal gefragt, welches denn sein Stil sei. "Ich war erst verdattert. Dann habe ich zurück gefragt: Was für ein Problem haben Sie? Wir haben, nicht nur in der Architektur, eine Menge Antworten; nur die Fragen kommen uns abhanden." Auch darum ist Hartmut Stechow das praktische Forschen, die Suche nach Problemstellungen - und dann auch möglichen Lösungen. Stechow holt eine Mappe aus seinem Büro am anderen Ende des Gangs. Aus seinem Fenster schaut er auf eine Brachfläche der Überseestadt. Inspirierend vermutlich, weil dort eben noch nichts steht. Er blättert das Konvolut auf und zeigt Skizzen aus einem dieser Forschungsprojekte. Dessen Ergebnisse wegen der notorischen Machbarkeit nicht umgesetzt wurden. Es geht um die Überdachung der Parkplätze am Autoterminal in Bremerhaven. Stechow und Kollegen fanden eine Möglichkeit, gewissermaßen unter Umgehung der Parkhauslogik, das weiträumige Areal leicht zu überdachen. Und diese zeltartige Bedachung mit Sonnenkollektoren zu kombinieren, die den Strom für die Beleuchtung des Lagerraums liefern sollten. Der eigentliche Clou aber besteht in der verschiedenen Farbigkeit der Dach- und Leuchtkonstruktion, der den Regenschutz zugleich zum logistischen Leitsystem gemacht hätte.
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